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NOTIZEN IM UMFELD VON TRISTAN AMOR RABIT

September 2022 – Ein Text von Inez J. Barrer

So verlockend es sein mag, in die hier gezeigten Bilder von Tristan Amor Rabit (TAR) Figurationen und Referenzen hineinzulesen – bitte ich freundlich, dieser modernistischen Gewohnheit zu widerstehen und anders zu schauen. Ich stimme aber bereitwillig zu, dass TARs Gemälde sich gleichermassen auf Inhalte wie auf Material stützen, ja, sie haben gar etwas Plastisches. Und wenn wir doch dem Bedürfnis unterliegen, ein vages Gemälde in eine historische Kategorie einzuordnen, komme ich nicht umhin, mir Tristan Amor Rabit als Neuformulierung des echten AbEx-Dandys zu denken, von den 1940ern reverberiert in die 2020er-Jahre. Obwohl die Verortung des Schaffens queerer Künstler*innen im machoistischen Feld des abstrakten Expressionismus im Kontext eines feministischen Kunstdiskurses auf den ersten Blick als abwegige oder gar brutale Geste wahrgenommen werden könnte, möchte ich die Kategorie und die Geschichte dieses cis-männlich dominierten Genres funktionalisieren, um so über die Arbeiten von TAR nachzudenken. Die New Yorker Künstlerin Amy Sillman beschreibt AbEx (Abstrakter Expressionismus) «als lächerlich und vulgär, als eine Ikonologie der Phallokratie, als nichts als eine leere Trophäe», die auf peinliche Weise versucht, die Intentionen und Ausdrucksformen der männlichen, bürgerlichen Subjektivität zu adeln. Aber ab jenem Moment, in dem die Strömung des AbEx «durch seine eigene Rhetorik ein Ende gefunden» und sich als jene weisse heterosexuelle Mythologie herausgestellt hat, die sie in Wirklichkeit ist, kann sie für geschlechtlich subalterne Künstler*innen wieder interessant werden.* Obwohl AbEx immer das Potenzial hatte, Körperpolitiken auf formalistische Weise zu reflektieren, blieb die abstrakte Malerei jahrzehntelang unzugänglich für weibliche und queere Kunstschaffende. Insbesondere die visuellen Strategien der euro-amerikanischen queeren Kämpfe haben Erkennbarkeit und explizite Gegenrepräsentation stets der abstrakten Form vorgezogen. Selbstverständlich ist dies eine Folge einer heteronormativen, und einer expliziten homo- und transfeindlichen sowie einer sensationalistischen Bildpolitik, die wir ab den späten 1960er-Jahren beobachten können. Während der HIV/Aids-Epidemie, insbesondere in den USA der 1980er-Jahre, fand jene bedrohende Bildpolitk einen Höhepunkt. Die mediale Zirkulation von Bildern des kranken und sterbenden schwulen sowie transgeschlechtlichen Körpers kann heute als eine Art Repräsentationskrise queerer Körperlichkeit erinnert werden. Angesichts jenes Blickregimes, das so stark auf die Konstruktion queerer Devianz abzielt, stellt sich die Frage, inwiefern abtstrakte visuelle Strategien für eine queere Politik anbieten. Die Frage, die Edouard Glissant an das koloniale Subjekt stellt, kann in diesem Zusammenhang dann auch im Kontext queerer Politiken des Visuellen stattfinden: Wer kann sich Opazität leisten?** Mit Glissant können wir fragen, ob wir es uns leisten könnten, queere Körperlichkeit auf eine abstrakte Weise darzustellen.

Am Anfang des Texts forderte ich auf, der Suche nach Figurationen in TARs Arbeit zu widerstehen. Stattdessen möchte ich eine nicht-referentielle Lesart der gezeigten Bilder vorschlagen. So sehr sich TARs Arbeit mit dem Körperlichen, dem Akt des Körper-Seins und -Werdens befasst – so denke ich, dass die eigentliche Qualität der Bilder in TARs Vermögen liegt, die Komplexität dieses Prozesses aufzuzeichnen, ohne auf ein figuratives Notationssystem, also auf einen fiktiv-figurierten queeren Körper, zurückzugreifen. Bei der Kuratorin und Kunsttheoretikerin Lucy Lippard findet sich eine interessante Bemerkung, die an dieser Stelle hilfreich sein könnte: «Ich bezweifle, dass mehr Bilder von Beinen, Hüften, Genitalien, Brüsten und neuen Posen – mögen sie noch so modernistisch sein – eine solche Gültigkeit für die moderne Erfahrung erlangen können wie diese Form der sinnlichen Abstraktion. Abstraktion ist vielmehr ein potentes Vehikel für das Unbekannte als für die Figuration.»***
TARs Werke vergegenständlichen nicht die Potentialität des Körper-Werdens, vielmehr beschwören sie die seltsame und unvertraute Erfahrung zeitgenössischer Verkörperung. Ich attestiere den ausgestellten Bildern deshalb das, was David Getsy eine transgender capacity nannte. Laut dem Oxford Dictionary meint capacity zugleich eine «aktive Kraft oder ein Vermögen» und die «Fähigkeit zu empfangen, zu halten; Fassungsvermögen». Getsy fügt hinzu, dass Kapazitäten «erst dann vollständig sichtbar werden, wenn sie in Anspruch genommen werden, und sie warten unter Umständen nur darauf, aktiviert zu werden.»**** Eine transgender capacity meint folglich die Fähigkeit, den geschlechtlichen Körper als mannigfaltig und veränderlich sichtbar oder erfahrbar zu machen. Sie kann in jeder Art von Text, sozialer Situation oder kulturellem Objekt gefunden werden – im Grunde überall dort, wo das Verfahren im Sinne einer transgeschlechtlichen Hermeneutik möglich wird. Indem wir darauf verzichten, Figurationen in TARs Werk hineinzulesen, erlauben wir den Bildern, Lesbarkeit (Legibilität) zu verweigern und sich stattdessen in schwer entzifferbare Texte zu verwandeln. Oder in Texte, die überhaupt nicht entziffert werden wollen, sondern als komplexe Tableaus – ja vielleicht gar als eine Art verschachtelte Schönheit - zu erfahren sind. Diese Schwierigkeit, die Unleserlichkeit, mit der uns TAR konfrontiert, bezieht sich nicht auf den transgeschlechtlichen Körper als universelle Form, sondern auf transgeschlechtliche Verkörperung als zwischenmenschliche und kulturelle Erfahrung, die Abstraktion und Uneindeutigkeit freisetzt. Abstraktion ist hier eine Form des Widerstands gegen Sichtbarkeit. Imaginationen von expliziter geschlechtlicher Ambiguität können meines Erachtens nicht dasselbe leisten. Es sind abstrakte visuelle Strategien, die das Projekt der Repräsentation transgeschlechtlicher Körperlichkeit angesichts ihrer permanenten Kontrolle, Überwachung und Bestrafung, vorantreiben.

Ich möchte mit einem Hinweis auf die geniale Schriftstellerin und Denkerin Susan Sontag schliessen. In ihren 57 Notes on Camp schreibt sie, dass die Fetischisierung abstrakter Bilder die Reaktion des Dandys auf die Mas­ senkultur gewesen sei. Sie sagt: «Camp – der Dandyismus im Zeitalter der Massenkultur – macht keinen Unterschied zwischen dem einzigartigen Gegenstand und dem Massengut.»***** So sind die Perversion und die Vulgarität der Objekte im Camp nicht nur in ihrer vulgären Form verlockend, sondern auch im pervertierten Kontext ihrer industriellen (Re-)Produktion. Ersetzten wir bei Sontags Überlegungen den Begriff des Objekts mit jenem des Körpers, so wird deutlich, wie sehr Tristan Amor Rabits Arbeit mit dem historischen Camp in Verbindung gebracht werden kann: Auf notorische Weise verstehen es die Bilder von TAR die pervertierte Produktion und das vulgäre Gefühl des Körperlichen zu beschwören, ohne dabei eine bestimmte Körperformation zu heroisieren oder gar zu viktimisieren. Das besondere Anliegen, das in einer solchen künstlerischen Auseinandersetzung liegt, interessiert sich eben nicht ausschliesslich für die Oberfläche, sprich die Objekthaftigkeit des Körpers, sondern fragt nach den unangenehmen, ja vielleicht sogar industriell-mechanischen Prozeduren, durch die jemand Körper wird. Zur Feststellung, dass dies als eine aktualisierte Form des camphaften AbExDandyismus im 21. Jahrhundert zu verstehen ist, trau ich mich an dieser Stelle nicht verleiten zu lassen.
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* Sillman, Amy: AbEx and Disco Balls: In Defense of AbstractEexpressionism II. In: Artforum (49/10), 2011.
** Glissant Edouard: Poetics of Relation. Michigan: University of Michigan Press, 1997.
***Lippard, Lucy: Eccentric Abstraction. In: Art International (10/09), 1966, S. 40.
**** Getsy David: Capacity. In: Transgender Studies Quarterly, Postposttranssexual: Key Concepts for a Twenty-First Century Transgender Studies (01/01), 2014, S. 47-49.
***** Sontag, Susan: Notes on Camp. In: Against Interpretation. New York: Octagon Books, 1978, S. 290-291.